J. Ruppenthal: Das Hamburgische Kolonialinstitut

Title
Kolonialismus als "Wissenschaft und Technik". Das Hamburgische Kolonialinstitut 1908 bis 1919


Author(s)
Ruppenthal, Jens
Series
Historische Mitteilungen 66
Published
Stuttgart 2007: Franz Steiner Verlag
Extent
273 S.
Price
€ 56,00
Reviewed for H-Soz-Kult by
Christoph Marx, Historisches Institut, Abteilung für Außereuropäische Geschichte, Universität Duisburg-Essen

Kolonialgeschichte ist hierzulande seit einigen Jahren geradezu in Mode. Mit erheblicher Verspätung haben deutsche Historiker zur Kenntnis genommen, dass Deutschland einmal Kolonialmacht war und dass dies an der deutschen Gesellschaft nicht ganz spurlos vorbeigegangen ist. Während die deutsche Kolonialagitation des späten 19. Jahrhunderts schon seit den 1970er-Jahren gut untersucht ist, fehlen zu wichtigen Institutionen der Kolonialzeit selbst noch immer grundlegende Arbeiten. Die Dissertation des Kölner Historikers Jens Ruppenthal schließt eine solche Lücke. Er hat eine sorgfältig aus den Quellen gearbeitete, umfassende Geschichte des Hamburgischen Kolonialinstituts vorgelegt. Sie breitet in den ersten beiden Kapiteln die Geschichte des Instituts im allgemeineren Kontext der deutschen Kolonialgeschichte wie der Wissenschaftsgeschichte der Stadt Hamburg aus. Die beiden übrigen Kapitel sind der Geschichte des Instituts bzw. den inhaltlichen Aspekten seiner Arbeit gewidmet.

Unter dem Titel „Kolonialwissenschaften und Kolonialausbildung bis 1907“ gibt Ruppenthal zunächst einen Überblick über die einschlägigen Institutionen, in denen Kolonialbeamte ausgebildet werden sollten. Er stellt dabei auch immer wieder instruktive Vergleiche zu den europäischen Nachbarländern an, deren Kolonialinstitutionen von den Zeitgenossen genau beobachtet wurden. So macht er in einem Überblick über Forschungsreisende deutlich, wie sich die ersten wissenschaftlichen Vereinigungen und Institutionen herausbildeten. Mit dem Beginn der deutschen Kolonialherrschaft entwickelte sich eine gewisse Dringlichkeit, die Verwaltung der Kolonien mit entsprechendem Wissen zu unterfüttern, ja sogar die Kolonialpolitik selbst auf wissenschaftliche Grundlagen zu stellen. Denn der Kolonialdienst war nicht sehr attraktiv, galt er eher als Karriereblockade. Die einseitige Rekrutierung von Juristen und Militärs wurde als Problem gesehen und für die zahlreichen Konflikte in den Kolonien mit verantwortlich gemacht. Stattdessen sollten die Beamten eine umfassende natur- und kulturwissenschaftliche Ausbildung erhalten, um für ihre vielfältigen Aufgaben optimal vorbereitet zu werden. Diese Forderungen erhielten einen weiteren Schub mit dem Amtsantritt von Staatssekretär Bernhard Dernburg im Jahr 1907, der stärker von Effizienzdenken als von Humanitätsdenken geprägt war, darum aber bessere Kenntnisse über Land und Leute bei seinen Beamten für unabdingbar hielt. Ruppenthal unterstreicht, dass Dernburg eine Selbstdarstellung in Szene setzte und seine Reformen kaum von einem durchdachten Konzept ausgingen (S. 58). Auch der Verweis auf einen zeitlich parallelen Reformdiskurs in der britischen Kolonialpolitik relativiert die „Ära Dernburg“ als einen Neuanfang und ein radikales Umdenken stark.

Das zweite Kapitel gibt einen kenntnisreichen Überblick über die Wissenschaftsinstitutionen in Hamburg sowie die Bestrebungen, in Hamburg eine eigene Universität zu gründen, die allerdings nicht von allen tonangebenden Kreisen mitgetragen wurden. Insbesondere die Kaufleute zeigten sich eher zurückhaltend, da sie weder an den Kolonien noch an einer wissenschaftlichen Ausbildung ihres Nachwuchses besonderes Interesse hatten. Gleichwohl geht Ruppenthal allen kolonialen Interessen und Aktivitäten der Hamburger detailliert nach und kann so ein umfassendes Bild der Involvierung der Stadt in den deutschen Kolonialismus zeichnen, das eine Zuordnung der auf die Errichtung des Kolonialinstituts bezogenen Aktivitäten erleichtert. Auch hier wird der größere Kontext berücksichtigt, indem er etwa Hamburg im Rahmen von Bismarcks Kolonialpolitik ebenso einbezieht wie einen Vergleich mit Glasgow als einer wie Hamburg hinter der jeweiligen Hauptstadt zweitplatzierten Metropole herstellt.

Die Schlüsselperson auf Seiten der Universitätsbefürworter war der Senatskommissar und Bildungspolitiker Werner von Melle, der mit großer Beharrlichkeit seinen Plan einer Universitätsgründung verfolgte. Das Kolonialinstitut stellte eine wichtige Etappe auf diesem Weg dar. Von Melle war über lange Jahre zuständig für die wissenschaftlichen Einrichtungen der Stadt, die er nach Kräften gefördert und ausgebaut hatte. Hamburg kannte daher, noch ohne eine Universität zu besitzen, ein weit gefächertes akademisches Leben, das in Gestalt von Lehrveranstaltungen auch an die Bürger der Stadt herangetragen wurde. Einige der Institutionen wie das Institut für Schiffs- und Tropenkrankheiten oder das Völkerkundemuseum wurden denn auch zu eigenständigen Mitspielern in den politischen Manövern, die zur Einrichtung des Kolonialinstituts führten. Dank von Melles Vorarbeiten konnte dieses schließlich realisiert werden, weil es im Wesentlichen um eine Neuordnung bereits vorhandener Kapazitäten und deren Ausbau durch die Neuberufung von Professoren ging. Das hielt die anfallenden Kosten in einem zu bewältigenden Rahmen für die Stadt und ermöglichte schließlich einen Konsens. Der Stadt kamen auch Spenden emigrierter Hamburger wie des südafrikanischen Diamantmagnaten Alfred Beit sehr gelegen. Aufgrund der Kostenersparnis konnten die Hamburger auch die Vertreter des Reiches, allen voran Dernburg, davon überzeugen, dass ein solches Institut in Hamburg besser platziert war als in der Reichshauptstadt.

Der Gründung des Instituts und seiner Organisationsform widmet sich das dritte Kapitel, das die Geschichte des Instituts auf der Basis der Aktenbestände sowie weiterer Quellen, etwa in Form der Lebenserinnerungen von Melles, rekonstruiert. Hier wird nochmals deutlich, wie von Melle und andere die Gründung eines Kolonialinstituts für ihre Zielsetzung einer Universitätsgründung von Anfang an instrumentalisierten und ausgesprochen geschickt die Bedeutung der Hafenstadt Hamburg gegen die Berliner Konkurrenz etwa des Seminars für Orientalische Sprachen auszuspielen verstanden. Ruppenthal geht auch im Einzelnen den Berufungen auf die neu geschaffenen Stellen nach und kann aufgrund der Personalprofile sowie ihrer späteren Lehrtätigkeit am Institut eine auffallende Heterogenität aufzeigen. Die Bandbreite reichte von Kolonialenthusiasten und Rassisten wie dem Geographen Siegfried Passarge bis hin zu Universitätsbefürwortern wie Georg Thilenius, der das Institut ähnlich wie von Melle nur als Etappe auf dem Weg zu einer vollwertigen Hochschule betrachtete. Von Melle selbst sicherte sich in der neu geschaffenen Funktion eines Senatskommissars die Leitung des Instituts, das damit unter der Kontrolle der Stadtverwaltung stand und keine autonome wissenschaftliche Einrichtung war. Demgegenüber blieben die Verbindungen zu den Reichsbehörden eher locker, was den Protagonisten einer Universitätsgründung nur recht sein konnte. Tatsächlich gelang der Ausbau der akademischen Tätigkeit etwa in den Bereich der Sprachwissenschaften, aber auch der Psychologie, was schon deutlich machte, wohin die Entwicklung gehen sollte.

Die Tätigkeit des Instituts war von Anfang an behindert durch das sehr begrenzte Interesse der Hamburger Bürger, insbesondere der Kaufleute, sowie das Misstrauen der Gouverneure der Kolonien, die aus teilweise rassistischen Gründen verhinderten, dass etwa Afrikaner als Sprachlehrer – oder wie es bezeichnenderweise hieß: „Sprachgehilfen“ – nach Hamburg geholt wurden. Im vierten Kapitel geht Ruppenthal auf das Curriculum selbst ein, wobei er sich nur hier in einigen Abschnitten, etwa in dem über die Hörer, von der Fülle seines Archivmaterials zu allzu detaillierten Darlegungen verleiten lässt. Insgesamt enthält sein Buch hingegen sehr konzise und schnörkellose, gut gegliederte und immer sehr klare Erörterungen, die präzise und unprätentiös Information und analysierende Argumentation miteinander verbinden. Gerade die Abschnitte über die einzelnen Fächer sind ausgesprochen erhellend, da sie weit über die Geschichte des Instituts hinaus Licht auf die wissenschaftliche Beschäftigung mit außereuropäischen Regionen werfen. Mit dem Ersten Weltkrieg und dem sich bald abzeichnenden endgültigen Verlust der Kolonien war das Institut, das ja auf die Praxisorientierung und die Ausbildung von Praktikern großen Wert gelegt und daraus seine Daseinsberechtigung gezogen hatte, obsolet geworden. In einem erneuten Anlauf gelang es von Melle, eine neue politische Konstellation im Hamburger Senat davon zu überzeugen, dass der Zeitpunkt für eine Universitätsgründung gekommen sei, nachdem die Kaufleute ihm vor dem Krieg mehrfach eine Abfuhr erteilt hatten.

Das Buch von Jens Ruppenthal gewinnt seinen besonderen Reiz dadurch, dass die Geschichte dieses Instituts Teil der Entstehungsgeschichte der Universität Hamburg ist. So ist diese Darstellung nicht nur ein wichtiger Meilenstein zur Geschichte der kolonialen Institutionen des Kaiserreichs, sondern auch ein Beitrag zur Universitäts- und Stadtgeschichte Hamburgs. Ruppenthal ist es gelungen, die verschiedenen Perspektiven in seiner Monographie zusammenzubringen und damit nach den vielen Diskursanalysen und den mit großem Theorieaufwand betriebenen Wiederentdeckungen der deutschen Kolonialgeschichte eine handfeste, empirisch fundierte, analytisch sichere und zudem gut geschriebene Untersuchung vorzulegen.